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Porträt des Verstorbenen am Ostermontag im Wiener Stephansdom Porträt des Verstorbenen am Ostermontag im Wiener Stephansdom  (AFP or licensors)

In memoriam Papst Franziskus: Der Grenzgänger

Ihn als einen Mann des Dialogs zu bezeichnen, wäre noch untertrieben: Papst Franziskus streckte seine Fühler überallhin aus, über konfessionelle, religiöse und auch politische Grenzen hinweg. Er träumte von der „Kultur der Begegnung“, der „offenen Welt“, der schrankenlosen Geschwisterlichkeit aller Menschen und Völker: „Fratelli tutti“.

Von Grenzen hielt er nicht viel; er legte es darauf an, sie zu durchbrechen. Manchmal geschah das mit dem Gestus des Propheten, etwa als er als erster Staatschef seit Jahrzehnten zuerst Palästina besuchte und dann erst Israel. Doch manchmal nahm seine Grenzgängerei auch listige Züge an – etwa im ökumenischen Bereich.

15. November 2015: Franziskus besuchte die evangelische Gemeinde von Rom. Eine deutsche Protestantin, verheiratet mit einem katholischen Italiener, sprach ihn in der Christuskirche auf ihre Sehnsucht nach eucharistischer Gastfreundschaft an: „Es schmerzt uns sehr, dass wir im Glauben getrennt sind und am Abendmahl des Herrn nicht gemeinsam teilnehmen können“, sagte sie. Der Papst gab zunächst eine mäandernde Antwort, doch dann fand er zu einer überraschenden Aussage.

Eine Tür öffnen

„Ich weiß nicht, wie antworten, aber ich mache mir Ihre Frage zu eigen… Haben wir nicht die gleiche Taufe? Und wenn wir die gleiche Taufe haben, müssen wir gemeinsam gehen… Das Leben ist größer als Erklärungen und Deutungen. Nehmt immer auf die Taufe Bezug: ‚Ein Glaube, eine Taufe, ein Herr‘, sagt uns Paulus, und von daher zieht die Schlussfolgerungen. Ich werde nie wagen, Erlaubnis zu geben, dies zu tun, denn es ist nicht meine Kompetenz. Eine Taufe, ein Herr, ein Glaube. Sprecht mit dem Herrn und geht voran. Ich wage nicht mehr zu sagen.“

Der Grenzgänger-Papst: Ein paar Video-Eindrücke

Er hatte ohnehin schon mehr gesagt, als er durfte. Zumal er der evangelischen Gemeinde dann als Gastgeschenk auch noch, spitzbübisch lächelnd, einen Messkelch überreichte. Ein typischer Franziskus-Moment: Hatte er nun verhüllt zu ökumenischer Mahlgemeinschaft ermutigt oder nicht? Die Dinge blieben im Ungefähren, und offiziell bewegt hat Rom sich in dieser Angelegenheit bis heute nicht. Aber – und darauf kam es diesem Papst an – eine Tür hatte sich geöffnet. Eine Vision zeichnete sich ab, auf die man gemeinsam zugehen kann.

Eingang in den Vatikan neben der Casa Santa Marta
Eingang in den Vatikan neben der Casa Santa Marta   (ANSA)

Die Rastlosigkeit und Träume des Unterwegsseins

Er wollte nicht Pflöcke einschlagen, sondern setzte auf die Rastlosigkeit und Träume des Unterwegsseins. Ökumenische Grenzgänge: Als erster Papst nahm er, 500 Jahre nach Luthers Thesenanschlag, an einem offiziellen Reformationsgedenken teil; als erstem Papst gelang ihm auch ein Treffen mit dem russisch-orthodoxen Patriarchen von Moskau, selbst wenn sich die Beziehungen dann angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine schnell wieder eintrübten. Mit dem Primas der anglikanischen Kirche und dem Leiter der reformierten Kirche Schottlands führte er eine Friedenswallfahrt in Afrikas ärmsten Staat Südsudan durch; zugleich ging er auf Christen abseits des ökumenischen Mainstreams zu, auf Pfingstler, Waldenser und Evangelikale.

Grenzgängerei auch in interreligiöser Hinsicht: Hier erreichte Franziskus vor allem im Dialog mit dem Islam Neues. Weniger interessiert zeigte er sich am Gespräch mit Nichtglaubenden, das seinem Vorgänger Benedikt besonders am Herzen gelegen hatte; dessen tiefe Sorge, die Frage nach Gott könne in der heutigen Gesellschaft erlöschen, schien Franziskus nicht besonders umzutreiben. Stattdessen setzte er auf eine Allianz der Glaubenden: Vor der Jerusalemer Klagemauer umarmten sich symbolisch Spitzenvertreter von drei Weltreligionen Judentum, Christentum, Islam.

Franziskus von Arabien

Februar 2019. Als erster Papst in der Geschichte besuchte Franziskus die arabische Halbinsel. So nah war noch kein römischer Bischof Mekka und Medina gekommen, den Geburtsorten des Islam. In Saudi-Arabien sind Kirchen, Kreuze, Messen verboten – doch auch dort empfängt man Fernsehsender aus den Emiraten, und viele verfolgten also von Saudi-Arabien aus neugierig den Besuch eines Papstes in Abu Dhabi mit. Franziskus von Arabien – er schrieb Geschichte.

„Al Salamò Alaikum! … Mit dankbarem Herzen gegenüber dem Herrn … komme ich als nach Frieden dürstender Glaubender hierher, als Bruder, der zusammen mit seinen Brüdern den Frieden sucht… Nach dem biblischen Bericht bittet Gott Noah, mit seiner Familie in die Arche zu gehen, um die Menschheit vor der Zerstörung zu bewahren. Auch heute müssen wir im Namen Gottes, um den Frieden zu sichern, gemeinsam als eine einzige Familie in eine Arche eintreten, die die stürmischen Meere der Welt befahren kann: die Arche der Brüderlichkeit.“

Eine neue Arche Noah

Das war ein suggestives Bild: eine neue Arche Noah, gezimmert von den großen Religionen. „Ausgangspunkt ist dabei die Erkenntnis, dass Gott der Ursprung der einen Menschheitsfamilie ist. Er, der Schöpfer von allem und allen, will, dass wir als Brüder und Schwestern leben und das gemeinsame Haus der Schöpfung bewohnen, das er uns geschenkt hat.“

Doch der Gast aus Rom raspelte am Golf nicht nur Süßholz. Er insistierte auch darauf, „dass wir alle die gleiche Würde haben und dass niemand der Herr oder Sklave anderer sein kann“. „Ohne Freiheit ist man nicht mehr Kind der Menschheitsfamilie, sondern Sklave. Unter den Freiheiten möchte ich die Religionsfreiheit hervorheben. Sie beschränkt sich nicht nur auf die freie Ausübung der Religion, sondern sieht im anderen wirklich einen Bruder und eine Schwester...“

Zu Besuch in einem Altersheim in Italien
Zu Besuch in einem Altersheim in Italien   (ANSA)

Spektakuläre Visite im Irak

Zusammen mit einem führenden Vertreter des sunnitischen Islam, dem ägyptischen Großscheich Ahmad al-Tayyeb, unterzeichnete der Papst in der Nacht von Abu Dhabi ein Manifest der Geschwisterlichkeit; es setzte neue Maßstäbe im Verhältnis der beiden Weltreligionen. Und Franziskus schmiedete das Eisen, solange es heiß war, und reiste im Lauf seines Pontifikats immer wieder in Länder mit islamischer Bevölkerungsmehrheit.

Besonderen Respekt brachte ihm 2021 seine Visite im Irak ein: In den antiken Ruinen von Ur, der Heimat Abrahams, traf er Mullahs und Scheichs (allerdings waren leider keine Vertreter des Judentums dabei). In den Trümmern von Mossul, das kurz zuvor erst aus den Händen der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ befreit worden war, betete er um Frieden und Versöhnung im auseinanderfallenden Zweistromland.

„Gott ist der Gott des Lebens“

„Wenn Gott der Gott des Lebens ist – und das ist er –, dann ist es uns nicht erlaubt, die Brüder und Schwestern in seinem Namen zu töten. Wenn Gott der Gott des Friedens ist – und das ist er –, dann ist es uns nicht erlaubt, in seinem Namen Krieg zu führen. Wenn Gott der Gott der Liebe ist – und das ist er –, dann dürfen wir die Brüder und Schwestern nicht hassen. Lasst uns gemeinsam für alle Opfer des Krieges beten, dass der allmächtige Gott ihnen ewiges Leben und nie endenden Frieden schenke und sie liebevoll in seine Arme nehme.“

  (ANSA)

Pontifikale „soft power“

Franziskus, der Grenzgänger: Er baute nicht nur Brücken zu anderen Konfessionen und Religionen, er ging auch in politischer Hinsicht neue Wege. Mit seinem Pontifikat kehrte der Vatikan als globale soft power auf die politische Landkarte zurück. Seine großen Anliegen, die er hartnäckig vorantrieb, lauteten: Nein zur Wegwerfkultur. Nein zu Atomwaffen, nein zur Todesstrafe. Nein zu einem internationalen Wirtschaftssystem, das „tötet“. Ja zur sozialen Verantwortung des Privateigentums. Ja zum Schutz der Schöpfung, unseres „gemeinsamen Hauses“. Und Ja zur Mitmenschlichkeit gegenüber Migranten und Flüchtlingen.

Juli 2013: Seine erste Reise raus aus dem Vatikan führte den Papst auf die Insel Lampedusa vor Sizilien. Ein klares Statement verbarg sich dahinter: Auf Lampedusa landen immer wieder verzweifelte Bootsflüchtlinge, die in irgendwelchen Schaluppen von Afrika aus nach Europa übergesetzt sind. Franziskus warf zuerst einen Kranz in die Wellen – als Zeichen der Trauer um all die, die auf der Überfahrt ums Leben kommen. Dann feierte er die Messe; sein Altar war ein Flüchtlingsboot.

Auftakt auf der Insel Lampedusa

„Gott fragt einen jeden von uns: Wo ist dein Bruder, dessen Blut zu mir schreit? Niemand in der Welt fühlt sich heute dafür verantwortlich; wir haben den Sinn für brüderliche Verantwortung verloren… Die Wohlstandskultur, die uns dazu bringt, an uns selbst zu denken, macht uns unempfindlich gegen die Schreie der anderen; sie lässt uns in Seifenblasen leben, die schön, aber nichts sind, die eine Illusion des Nichtigen, des Flüchtigen sind, die zur Gleichgültigkeit gegenüber den anderen führen, ja zur Globalisierung der Gleichgültigkeit… Wer von uns hat … geweint über den Tod dieser Brüder und Schwestern? Wer hat geweint um diese Menschen, die im Boot waren? Um die jungen Mütter, die ihre Kinder mit sich trugen? Um diese Männer, die sich nach etwas sehnten, um ihre Familien unterhalten zu können? … Herr, in diesem Gottesdienst, den wir zur Buße feiern, bitten wir um Vergebung für die Gleichgültigkeit gegenüber so vielen Brüdern und Schwestern…“

Franziskus‘ soziales Engagement überwand Grenzen – auch dadurch, dass er es mit dem Thema Umweltschutz verknüpfte. Für ihn bestand da kein Widerspruch; der Kampf gegen die Erderwärmung war aus seiner Sicht ja auch ein Kampf für die ärmeren Länder, die überproportional unter den Folgen des Klimawandels leiden. Als erster Papst verfasste Franziskus eine Umwelt-Enzyklika: ‚Laudato si‘‘. Sie erschien 2015 rechtzeitig vor dem wichtigen UNO-Klimagipfel von Paris.

Umweltschutz gehört zum Engagement für das Leben

Für den Argentinier im Vatikan hing, wie ‚Laudato si‘‘ deutlich machte, alles mit allem zusammen: Umweltschutz mit sozialer Gerechtigkeit, Lebensschutz mit dem Einsatz für Benachteiligte, Rosenkranz mit Aktion. Auf einmal wurde Lebensschutz, bislang eine Spezialität der katholischen Rechten, anschlussfähig an eher linkes Gedankengut. Abtreibungsgegner, „Friday for Future“, Mindestlohn-Kämpfer, alle waren auf einmal vereint unter dem Banner des Papstes. ‚P0pulistisch‘ fanden das seine Kritiker. Andere staunten über die Entdeckung, dass sich ein Thema wie Umweltschutz im Herzen des kirchlichen Denkens und Fühlens verorten lässt.

  (ANSA)

„Wir brauchen die Weisheit der Indigenen“

Januar 2018: Franziskus besuchte Puerto Maldonado im peruanischen Amazonasgebiet. „Da ich mit euch zusammen bin, steigt der Gesang des heiligen Franziskus in meinem Herzen auf: ‚Gelobt seist du, mein Herr!‘“ Der Papst begrüßte die Indigenen, die zu der Begegnung gekommen waren, indem er die Namen der verschiedenen Völker aufzählte, zu denen sie gehören: „Harakbut, Esse-ejas, Matsiguenkas, Yines, Shipibos, Asháninkas, Yaneshas, Kakintes, Nahuas, Yaminahuas, Juni Kuin, Madijá, Manchineris, Kukamas, Kandozi, Quichuas, Huitotos, Shawis, Achuar, Boras, Awajún, Wampís…“

„Wir, die wir nicht in diesen Gebieten leben, brauchen eure Weisheit und euer Wissen, um ohne Zerstörung in den Schatz eintreten zu können, den diese Region in sich birgt; und die Worte des Herrn an Mose hallen wider: Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden (Ex 3,5).“ Im Vatikan veranstaltete Franziskus 2019 eine Sonder-Bischofsynode zum Thema Amazonas, bei der Seelsorge und Schutz indigener Völker eindrucksvoll miteinander ins Gespräch gebracht wurden.

Werben um Peking

War der Grenzgänger Jorge Mario Bergoglio ein „linker“ Pontifex? Er konnte jedenfalls gut mit linken Staatschefs von seinem Heimatkontinent... und nicht so gut mit dem Amerikaner Donald Trump. Einem Besuch in den USA schaltete Franziskus demonstrativ eine Visite auf Kuba vor – das Misstrauen des Lateinamerikaners gegenüber den Gringos im Norden. Nein, er wollte nicht links sein und nicht rechts, auch der Einstufung in progressiv oder konservativ entzog er sich. Brückenbauer sein: Darum ging es ihm. Gegensätze versöhnen. Die Quadratur des Kreises.

Klar, dass das nicht immer gelingen konnte. So umwarb Franziskus zwar das chinesische Regime, sprach bei jeder Gelegenheit von der Weisheit dieses großen Volkes – und hat damit doch für die Katholiken in China wenig erreicht, sieht man mal von einem umstrittenen Geheimabkommen über Bischofsernennungen ab. Für einen Papstbesuch in Peking blieben die Aussichten gleichbleibend null. Dabei wußte Franziskus, der geistige Erbe von Jesuitenmissionaren wie Matteo Ricci, dass China im Jahr 2050, von den absoluten Zahlen her, das katholischste Land der Welt sein könnte.

Hilflos angesichts der Logik der Waffen

Auch der russische Überfall auf die Ukraine hat den Papst auf dem falschen Fuß erwischt. Gerade noch hatte er in seiner Enzyklika „Fratelli tutti“ Thomas von Aquins Konzept eines „gerechten Krieges“ in hundert Teile zerrissen. Jetzt war er sprach- und hilflos angesichts von Putins Zynismus und der eskalierenden Logik der Waffen. „Was muss noch geschehen? Wie viel Blut muss noch fließen, damit wir erkennen, dass Krieg niemals eine Lösung ist, sondern nur Zerstörung? Im Namen Gottes und im Namen des Gefühls der Menschlichkeit, das in jedem Herzen wohnt, erneuere ich meinen Aufruf zu einem sofortigen Waffenstillstand.“

Er gab die Hoffnung nicht auf, eines fernen Tages vielleicht zwischen Moskau und Kiew vermitteln zu können; darum vermeidete er es, Russland als Aggressor zu brandmarken. Doch seine Mahnungen zu Friedensverhandlungen wirkten angesichts des Grauens von Butscha oder Mariupol wie aus der Zeit gefallen. Der Grenzgänger Franziskus – beim „Dritten Weltkrieg in Stücken“ ist er an eine Grenze gestoßen.

(vatican news)
 

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21. April 2025, 15:16