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Archivbild: Die Kreuzweg-Andacht 2024 in Rom Archivbild: Die Kreuzweg-Andacht 2024 in Rom  (Vatican Media)

Die Meditation von Papst Franziskus zum Kreuzweg 2025 im Wortlaut

Hier die Meditationen für den Kreuzweg am Kolosseum zum Karfreitag 2025, die Papst Franziskus in diesem Jahr selbst verfasst hat.

Einführung

 

Der Kreuzweg führt mitten durch die Straßen unseres Alltags. Wir, Herr, gehen für gewöhnlich in die entgegengesetzte Richtung zu der deinen. Gerade so kann es uns passieren, dass wir dein Angesicht sehen, dass wir deinen Blick kreuzen. Wir gehen unsere gewohnten Wege und du kommst auf uns zu. Deine Augen sehen in unsere Herzen. Dann zögern wir so weiterzugehen, als ob nichts geschehen wäre. Wir können uns umdrehen, dich ansehen, dir folgen. Wir können uns in deinen Weg hineinversetzen und erahnen, dass es besser ist, die Richtung zu ändern.

 

Aus dem Evangelium nach Markus (10,21)

Da sah ihn Jesus an, gewann ihn lieb und sagte: »Eines fehlt dir noch: Geh, verkaufe, was du hast, gib es den Armen und du wirst einen Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!«

 

Jesus ist dein Name, und wahrlich, »Gott rettet« durch dich. Der Gott Abrahams, der ruft, der Gott Isaaks, der fürsorglich ist, der Gott Jakobs, der segnet, der Gott Israels, der befreit: in deinem Blick, Herr, der du durch Jerusalem gehst, liegt eine ganze Offenbarung. In deinen Schritten, die aus der Stadt hinausgehen, sehen wir unseren Aufbruch in ein neues Land. Du bist gekommen, um die Welt zu verändern: Das bedeutet für uns, die Richtung zu ändern, das Gute zu sehen, das du hinterlassen hast, und die Erinnerung an deinen Blick in unseren Herzen weiterwirken zu lassen.

Die Via Crucis ist das Gebet derer, die in Bewegung sind. Sie unterbricht unsere gewohnten Pfade, damit wir von der Müdigkeit zur Freude gelangen. Es ist wahr, dass der Weg Jesu uns einiges kostet: In dieser Welt, in der alles berechnet wird, hat die Freigebigkeit einen hohen Preis. Doch in der Hingabe erblüht alles neu: Eine in Parteiungen gespaltene und von Konflikten zerrissene Stadt nähert sich der Versöhnung; eine verdorrte Religiosität entdeckt wieder die Fruchtbarkeit der Verheißungen Gottes; selbst ein Herz aus Stein kann sich in ein Herz aus Fleisch verwandeln. Wir brauchen bloß auf die Einladung zu hören, »Komm und folge mir nach!«, und jenem liebevollen Blick vertrauen.

 

 

 

I. Station

Jesus wird zum Tode verurteilt

 

Aus dem Evangelium nach Lukas (23,13-17)

Pilatus rief die Hohepriester und die anderen führenden Männer und das Volk zusammen und sagte zu ihnen: »Ihr habt mir diesen Menschen hergebracht und behauptet, er wiegle das Volk auf. Und siehe, ich selbst habe ihn in eurer Gegenwart verhört und habe an diesem Menschen die Schuld, wegen der ihr ihn anklagt, nicht gefunden, auch Herodes nicht, denn er hat ihn zu uns zurückgeschickt. Ihr seht also: Er hat nichts getan, worauf die Todesstrafe steht. Daher will ich ihn auspeitschen lassen und dann freilassen.«

 

So ist es nicht gekommen. Er hat dich nicht freigelassen. Und doch hätte es auch anders gehen können. Das ist das dramatische Spiel unserer Freiheit. Das, wofür du, Herr, uns so sehr geschätzt hast. Du hast Herodes und Pilatus, Freunden und Feinden vertraut. Du bist unerschütterlich in dem Vertrauen, mit dem du dich in unsere Hände gibst. Daraus können Wunder entstehen: wenn wir zu Unrecht Angeklagte befreien, wenn wir die Vielschichtigkeit von Situationen ergründen, wenn wir uns Urteilen widersetzen, die töten. Selbst Herodes hätte der heiligen Unruhe folgen können, die ihn zu dir hinzog: Er tat es nicht, nicht einmal, als er schließlich vor dir stand. Pilatus hätte dich freilassen können: Er hatte dich bereits freigesprochen. Er tat es nicht. Der Kreuzweg, Jesus, ist eine Möglichkeit, die wir schon zu oft verworfen haben. Dazu bekennen wir uns, wir, die wir gefangen sind in den Rollen, die wir nicht ablegen wollten, weil uns die Unannehmlichkeiten eines Richtungswechsels Sorgen bereiteten. Du stehst weiterhin still vor uns: in jeder Schwester und jedem Bruder, die Urteilen und Vorurteilen ausgesetzt sind. Immer wieder gibt es religiöse Argumente, juristische Spitzfindigkeiten, einen scheinbar gesunden Menschenverstand, der sich vom Schicksal anderer nicht berühren lässt: Tausend Gründe ziehen uns auf die Seite von Herodes, den Priestern, Pilatus und der Volksmenge. Und doch kann es auch anders gehen. Jesus, du wäschst dir die Hände nicht rein. Du liebst weiter, im Stillen. Du hast Deine Entscheidung getroffen und jetzt sind wir an der Reihe.

 

Lasst uns beten: Öffne mein Herz, Jesus

 

Wenn eine verurteilte Person vor mir steht.

Öffne mein Herz, Jesus

Wenn meine Gewissheiten Vorurteile sind.

Öffne mein Herz, Jesus

Wenn Starrheit mein Leben bestimmt.

Öffne mein Herz, Jesus

Wenn mich das Gute heimlich anzieht.

Öffne mein Herz, Jesus

Wenn ich gern mutig wäre, aber Angst habe, etwas zu verlieren.

Öffne mein Herz, Jesus

 

 

II. Station

Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern

 

Aus dem Evangelium nach Lukas (9,43b-45)

Und alle waren außer sich vor Staunen über die Größe Gottes. Alle Leute staunten über das, was Jesus tat; er aber sagte zu seinen Jüngern: »Behaltet diese Worte in euren Ohren: Der Menschensohn wird nämlich in die Hände von Menschen ausgeliefert werden.« Doch die Jünger verstanden den Sinn seiner Worte nicht; er blieb ihnen verborgen, sodass sie ihn nicht begriffen. Aber sie scheuten sich, Jesus zu fragen, was er damit sagen wollte.

 

Seit Monaten, vielleicht seit Jahren, lag diese Last auf deinen Schultern, Jesus. Wenn du davon sprachst, hat niemand auf dich gehört: ein unüberwindbarer Widerstand, der sich nur erahnen lässt. Du hast das Kreuz nicht gesucht, aber du hast gespürt, wie es immer deutlicher auf dich zukam. Du hast es angenommen, aber nur, weil du nicht bloß die Last, sondern auch die Verantwortung gespürt hast. Dein Kreuzweg, Jesus, führt nicht nur bergauf. Auf ihm steigtst du herab zu denen, die du geliebt hast, in die Welt, die Gott liebt. Er ist eine Antwort, Übernahme von Verantwortung. Er kostet etwas, so wie die wahrhaftigsten Bindungen und schönsten Liebesbeziehungen etwas kosten. Die Last, die du trägst, erzählt von dem Atem, der dich bewegt, von jenem Geist, „der Herr ist und lebendig macht“. Wer weiß, warum wir geradezu Angst haben, dich hierzu zu befragen. In Wirklichkeit sind wir es, die einen kurzen Atem haben, weil wir ständig der Verantwortung ausweichen. Es würde genügen, nicht wegzulaufen und zu bleiben: bei denen, die du uns gegeben hast; in dem Umfeld, in das du uns hineingestellt hast. Uns zu binden und dabei zu spüren, dass wir nur so aufhören, Gefangene unserer selbst zu sein. Der Egoismus ist belastender als das Kreuz. Die Gleichgültigkeit ist belastender als das Miteinander-Teilen. Der Prophet hatte es verkündet: Die Jungen werden müde und matt, junge Männer stolpern und stürzen. Die aber auf den Herrn hoffen, empfangen neue Kraft, wie Adlern wachsen ihnen Flügel. Sie laufen und werden nicht müde, sie gehen und werden nicht matt (Jes 40,30-31).

 

Lasst uns beten: Befreie uns von der Müdigkeit, Herr!

 

 

Wenn wir in unseren Sorgen um uns selbst kreisen.

Befreie uns von der Müdigkeit, Herr!

Wenn wir meinen, wir hätten keine Kraft, uns um andere zu kümmern.

Befreie uns von der Müdigkeit, Herr!

Wenn wir nach Ausreden suchen, um uns unserer Verantwortung zu entziehen.

Befreie uns von der Müdigkeit, Herr!

Wenn wir Talente und Fähigkeiten haben, die wir einbringen können.

Befreie uns von der Müdigkeit, Herr!

Wenn sich unser Herz von Ungerechtigkeit noch erschüttern lässt.

Befreie uns von der Müdigkeit, Herr!

 

 

 

III. Station

Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz

 

Aus dem Evangelium nach Lukas (10,13-15)

»Weh dir, Chorazin! Weh dir, Betsaida! Denn wenn in Tyrus und Sidon die Machttaten geschehen wären, die bei euch geschehen sind – längst schon wären sie in Sack und Asche umgekehrt. Doch Tyrus und Sidon wird es beim Gericht erträglicher ergehen als euch. Und du, Kafarnaum, wirst du etwa bis zum Himmel erhoben werden? Bis zur Unterwelt wirst du hinabsteigen!«

 

Es war wie ein erster Tiefpunkt und du, Jesus, hast harsche Worte für jene Orte gefunden, die dir so teuer waren. Die Saat deines Wortes schien ins Leere gefallen zu sein, ebenso wie jede deiner befreienden Gesten. Jeder Prophet hat das niederschmetternde Gefühl der Erfolglosigkeit erfahren, um dann wieder auf den Wegen Gottes weiterzugehen. Dein Leben, Jesus, ist ein Gleichnis: Du fällst nie vergebens in unseren Boden. Sogar bei jenem ersten Mal wurde die Enttäuschung schon bald unterbrochen von der Freude der Deinen, die du ausgesandt hattest: Sie kehrten von ihrer Mission zu dir zurück und berichteten dir von den Zeichen des Reiches Gottes. Da hast du in spontaner, überschwänglicher Freude gejubelt, deren ansteckende Energie uns mitreißt. Du hast den Vater gepriesen, der den Gelehrten und Klugen seine Pläne verbirgt, um sie den Unmündigen zu offenbaren. Auch der Kreuzweg ist tief in die Erde eingezeichnet: Die Mächtigen kommen ihr nicht nahe, sie würden gern den Himmel berühren. Doch der Himmel ist hier, er ist herabgekommen, man begegnet ihm sogar im Fallen, wenn man auf dem Boden bleibt. Die Erbauer von Babel sagen uns, dass man nichts falsch machen darf und dass diejenigen, die fallen, verloren sind. Das ist die Baustelle der Hölle. Die Ökonomie Gottes hingegen tötet nicht, sie sondert niemanden aus, erdrückt nicht. Sie ist demütig, der Erde treu. Dein Weg, Jesus, ist der Weg der Seligpreisungen. Er zerstört nicht, sondern pflegt, schützt und bewahrt.

 

Lasst uns beten: Dein Reich komme

 

Für diejenigen, die sich als Versager fühlen.

Dein Reich komme

Gegen eine Wirtschaft, die tötet.

Dein Reich komme

Um denen, die gefallen sind, wieder Kraft zu geben.

Dein Reich komme

In den Wettbewerbsgesellschaften und bei denen, die nach den ersten Plätzen streben.

Dein Reich komme

In denen, die an den Ländergrenzen lagern und sich am Ende ihres Weges wähnen.

Dein Reich komme

 

 

 

IV. Station

Jesus begegnet seiner Mutter

 

Aus dem Evangelium nach Lukas (8,19-21)

Es kamen aber seine Mutter und seine Brüder zu ihm; sie konnten jedoch wegen der vielen Leute nicht zu ihm gelangen. Da sagte man ihm: »Deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und möchten dich sehen.« Er erwiderte ihnen: »Meine Mutter und meine Brüder sind die, die das Wort Gottes hören und tun.«

 

Deine Mutter ist da, am Kreuzweg: Sie war deine erste Jüngerin. Deine Mutter ist da mit sanfter Entschlossenheit, mit ihrem Verstand, der alles im Herzen bewahrt und bedenkt. Von dem Moment an, als sie nach ihrer Bereitschaft gefragt wurde, dich in ihrem Schoß aufzunehmen, wandte sie sich dir zu, kehrte sie sich dir zu. Sie hat ihre Wege nach den deinen ausgerichtet. Es war kein Verzicht, sondern eine fortwährende Entdeckung, bis hin zu Golgota: Dir zu folgen bedeutet, dich gehen zu lassen; dich bei sich zu haben, bedeutet, Platz für das Neue zu schaffen, das du schenkst. Jede Mutter weiß das: Ein Kind überrascht. Geliebter Sohn, du erkennst diejenigen als deine Mutter und deine Geschwister an, die zuhören und sich verändern lassen. Sie reden nicht, sondern handeln. Bei Gott sind Worte Taten, Verheißungen sind Wirklichkeit: Auf dem Kreuzweg, o Mutter, gehörst du zu den wenigen, die sich daran erinnern. Jetzt ist es der Sohn, der dich braucht: Er spürt, dass du nicht verzweifelst. Er spürt, dass du weiterhin in deinem Schoß das ewige Wort hervorbringst. Auch wir können dir, Jesus, nur folgen, weil wir Nachkommen derer sind, die dir gefolgt sind. Auch wir werden neu zur Welt gebracht durch den Glauben deiner Mutter und der zahllosen Zeugen, die selbst dort fruchtbar sind, wo alles vom Tod gezeichnet ist. Damals in Galiläa waren sie es, die dich sehen wollten. Nun, da du den Kalvarienberg hinaufsteigst, suchst du deinerseits den Blick derer, die hören und danach handeln. Unsagbares Einvernehmen. Unauflöslicher Bund.

 

Lasst uns beten: Siehe, meine Mutter

 

Maria hört zu und spricht. Siehe, meine Mutter

Maria fragt und sinnt nach. Siehe, meine Mutter

Maria verlässt das Haus und bricht entschlossen auf. Siehe, meine Mutter

Maria jubelt und tröstet. Siehe, meine Mutter

Maria nimmt auf und umsorgt. Siehe, meine Mutter

Maria wagt und beschützt. Siehe, meine Mutter

Maria fürchtet keine Urteile und Unterstellungen. Siehe, meine Mutter

Maria wartet und bleibt. Siehe, meine Mutter

Maria orientiert und begleitet. Siehe, meine Mutter

Maria gibt dem Tod keinen Raum. Siehe, meine Mutter

 

 

 

V. Station

Simon von Kyrene hilft Jesus das Kreuz tragen

 

Aus dem Evangelium nach Lukas (23,26)

Als sie Jesus hinausführten, ergriffen sie Simon, einen Mann aus Kyrene, der gerade vom Feld kam. Ihm luden sie das Kreuz auf, damit er es hinter Jesus hertrage.

 

Er bot sich nicht selbst an, sie hielten ihn dazu an. Simon war auf dem Rückweg von seiner Arbeit und sie luden ihm das Kreuz eines Verurteilten auf. Er hatte wohl einen passenden Körperbau, aber gewiss war sein Ziel ein anderes, seine Pläne waren andere. Gott kann man auf diese Weise begegnen. Wer weiß warum, Jesus, aber dieser Name – Simon von Kyrene – wurde unter deinen Jüngern bald unvergesslich. Auf dem Kreuzweg waren sie nicht dabei und wir auch nicht, aber Simon schon. Das gilt bis heute: Während einer alles gibt, kann man woanders sein, sogar auf der Flucht, oder man kann in die Angelegenheit hineinverwickelt werden. Wir glauben, Jesus, dass wir uns an den Namen von Simon erinnern, weil dieses unerwartete Ereignis ihn für immer verändert hat. Er hörte nicht mehr auf, an dich zu denken. Er wurde zu einem Teil deines Leibes, ein direkter Zeuge davon, wie sehr du dich von jedem anderen Verurteilten unterscheidest. Simon von Kyrene musste dein Kreuz tragen, ohne darum gebeten zu haben, wie das Joch, von dem du einst gesprochen hast: »Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht« (Mt 11,30). Auch die Tiere arbeiten besser, wenn sie sich gemeinsam vorwärtsbewegen. Und du, Jesus, liebst es, uns in dein Wirken mit einzubeziehen, das den Erdboden lockert, damit neu eingesät werden kann. Wir brauchen diese erstaunliche Leichtigkeit. Wir brauchen jemanden, der uns bisweilen anhält und uns ein Stück Wirklichkeit auf die Schultern lädt, das schlicht und einfach getragen werden muss. Man kann den ganzen Tag lang arbeiten, doch ohne dich ist es vergebens. Umsonst mühen sich die Bauleute, vergeblich wacht der Hüter der Stadt, wenn nicht Gott sie erbaut (vgl. Ps 127). So entsteht auf dem Kreuzweg das neue Jerusalem. Und wir schlagen, wie Simon von Kyrene, einen neuen Weg ein und arbeiten mit dir zusammen.

 

 

Lasst uns beten: Halte unser Eilen auf, Herr

 

Wenn wir unseren eigenen Weg gehen, ohne jemandem ins Gesicht zu sehen.

Halte unser Eilen auf, Herr

Wenn uns die Nachrichten nicht berühren.

Halte unser Eilen auf, Herr

Wenn Personen zu Zahlen werden.

Halte unser Eilen auf, Herr

Wenn wir nie Zeit haben, zuzuhören.

Halte unser Eilen auf, Herr

Wenn wir es eilig haben, zu entscheiden.

Halte unser Eilen auf, Herr

Wenn Planänderungen nicht zulässig sind.

Halte unser Eilen auf, Herr

 

VI. Station

Veronika reicht Jesus das Schweißtuch

 

Aus dem Evangelium nach Lukas (9,29-31)

Und während er betete, veränderte sich das Aussehen seines Gesichtes und sein Gewand wurde leuchtend weiß. Und siehe, es redeten zwei Männer mit ihm. Es waren Mose und Elija; sie erschienen in Herrlichkeit und sprachen von seinem Ende, das er in Jerusalem erfüllen sollte.

 

Aus dem Buch der Psalmen (27,8-9a)

Mein Herz denkt an dich: »Suchet mein Angesicht!«

Dein Angesicht, Herr, will ich suchen. Verbirg nicht dein Angesicht vor mir.

 

In deinem Angesicht, Jesus, sehen wir dein Herz. Wir sehen die Entschlossenheit in deinen Augen, sie zeichnet dein Gesicht, sie verleiht deinen Zügen einen Ausdruck von unverwechselbarer Aufmerksamkeit. Du nimmst Veronika wahr, so wie du mich wahrnimmst. Ich suche dein Angesicht, das von deiner Entschlossenheit zeugt, uns bis zum letzten Atemzug zu lieben: Und sogar darüber hinaus, denn »stark wie der Tod ist die Liebe« (Hld 8,6). Das, was unsere Herzen verändert, ist dein Angesicht, das ich gern betrachten und bewahren möchte. Du schenkst dich uns, Tag für Tag, im Antlitz eines jeden Menschen, das ein lebendiges Andenken an deine Menschwerdung ist. Denn jedes Mal, wenn wir uns den Geringsten zuwenden, widmen wir den Gliedern deines Leibes Aufmerksamkeit und du bleibst bei uns. So erhellst du unser Herz und unseren Blick. Statt abzuweisen, nehmen wir nun auf. Auf dem Kreuzweg kann unser Angesicht endlich strahlend werden wie das deine und Segen verbreiten. Du hast uns die Erinnerung daran eingeprägt, eine Vorahnung deiner Wiederkunft, wenn du uns auf den ersten Blick erkennen wirst, jeden einzelnen. Vielleicht werden wir dir dann ähnlich sein. Und wir werden eintreten in einen unaufhörlichen Dialog von Angesicht zu Angesicht, in einer Vertrautheit, derer wir als Familie Gottes nie müde werden.

 

Lasst uns beten: Präge deine Erinnerung in uns ein, Jesus

 

Wenn unser Gesicht ausdruckslos ist.

Präge deine Erinnerung in uns ein, Jesus

Wenn unser Herz unbeteiligt ist.

Präge deine Erinnerung in uns ein, Jesus

Wenn unsere Taten spalten.

Präge deine Erinnerung in uns ein, Jesus

Wenn unsere Entscheidungen verletzen.

Präge deine Erinnerung in uns ein, Jesus

Wenn unsere Pläne andere ausschließen.

Präge deine Erinnerung in uns ein, Jesus

 

 

 

VII. Station

Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz

 

Aus dem Evangelium nach Lukas (15,2-6)

Die Pharisäer und die Schriftgelehrten empörten sich darüber und sagten: »Dieser nimmt Sünder auf und isst mit ihnen.« Da erzählte er ihnen dieses Gleichnis und sagte: »Wenn einer von euch hundert Schafe hat und eins davon verliert, lässt er dann nicht die neunundneunzig in der Wüste zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet? Und wenn er es gefunden hat, nimmt er es voll Freude auf die Schultern, und wenn er nach Hause kommt, ruft er die Freunde und Nachbarn zusammen und sagt zu ihnen: „Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf wiedergefunden, das verloren war!“«.

 

Hinfallen und aufstehen; hinfallen und erneut aufstehen. So hast du, Jesus, uns gelehrt, das Abenteuer des menschlichen Lebens zu verstehen. Es ist menschlich, weil es offen ist. Maschinen dürfen keine Fehler machen: Wir erwarten, dass sie perfekt funktionieren. Menschen hingegen zögern, lassen sich ablenken, verirren sich. Doch sie kennen auch die Freude: des Neubeginns, der Neugeburt. Menschen entstehen nicht mechanisch – sie sind wie „handgemacht“: Wir sind Unikate, ein Flechtwerk von Gnade und Verantwortung. Jesus, du bist einer von uns geworden; du hattest keine Angst zu stolpern und zu fallen. Wem das peinlich ist, wer sich mit Unfehlbarkeit brüstet, wer seine Stürze verheimlicht und die Stürze anderer nicht verzeiht, der verleugnet den Weg, den du gewählt hast. Du, Jesus, bist der Herr der Freude. Durch dich werden wir alle wiedergefunden und nach Hause zurückgebracht, wie das eine Schaf, das sich verirrt hatte. Unmenschlich ist eine Wirtschaft, in der neunundneunzig mehr wert sind als einer. Und doch haben wir eine Welt errichtet, die so funktioniert: eine Welt der Berechnungen und Algorithmen, kalter Logik und unerbittlichen Interessen. Das Gesetz deines Hauses, der göttlichen Ökonomie, ist anders, Herr. Sich dir zuzuwenden, der du fällst und wieder aufstehst, bedeutet eine Kursänderung, einen Tempowechsel – eine Kehrtwende, die wieder Freude schenkt und uns nach Hause bringt.

 

Lasst uns beten: Richte uns wieder auf, Gott, unser Heil

 

Wir sind Kinder, die manchmal weinen.

Richte uns wieder auf, Gott unser Heil

Wir sind Jugendliche, die sich unsicher fühlen.

Richte uns wieder auf, Gott unser Heil

Wir sind junge Menschen, die von zu vielen Erwachsenen verachtet werden.

Richte uns wieder auf, Gott unser Heil

Wir sind Erwachsene, die Fehler gemacht haben.

Richte uns wieder auf, Gott unser Heil

Wir sind alte Menschen, die noch träumen wollen.

Richte uns wieder auf, Gott unser Heil

 

 

 

 

 

VIII. Station

Jesus begegnet den Frauen von Jerusalem

Aus dem Evangelium nach Lukas (23,27-31)

Es folgte ihm eine große Menge des Volkes, darunter auch Frauen, die um ihn klagten und weinten. Jesus wandte sich zu ihnen um und sagte: Töchter Jerusalems, weint nicht über mich; weint vielmehr über euch und eure Kinder! Denn siehe, es kommen Tage, da wird man sagen: Selig die Frauen, die unfruchtbar sind, die nicht geboren und nicht gestillt haben. Dann wird man zu den Bergen sagen: Fallt auf uns! und zu den Hügeln: Deckt uns zu! Denn wenn das mit dem grünen Holz geschieht, was wird dann erst mit dem dürren werden?

 

In den Frauen hast du, Jesus, schon immer eine besondere Übereinstimmung mit dem Herzen Gottes erkannt. Deshalb hast du in der großen Menschenmenge, die an jenem Tag ihre Richtung änderte und dir folgte, sofort die Frauen erblickt und wieder einmal ein besonderes Einvernehmen mit ihnen hergestellt. Die Stadt ist anders, wenn man ihre Bewohner im Schoß trägt, wenn man ihre Kinder stillt: Wenn man also nicht das Register der Herrschaft kennt, sondern die Dinge von innen heraus erlebt. Den Frauen, die pflichtgemäß das Klageritual vollziehen, rührst du das Herz an. Im Herzen nämlich verbinden sich die Ereignisse und dort entstehen Gedanken und Entscheidungen. »Weint nicht über mich.« Das Herz Gottes schlägt für sein Volk, es lässt eine neue Stadt entstehen: »Weint vielmehr über euch und über eure Kinder«. Es gibt nämlich ein Weinen, durch das alles neu ersteht. Es braucht jedoch Tränen des Bedauerns, für die man sich nicht schämen muss, Tränen, die man nicht für sich behält. Unser verletztes Zusammenleben in dieser zerrissenen Welt, o Herr, braucht aufrichtige Tränen, keine der Höflichkeit geschuldeten. Andernfalls wird wahr, was die Apokalyptiker vorausgesagt haben: Wir bringen nichts mehr hervor und dann bricht alles zusammen. Der Glaube hingegen versetzt Berge. Berge und Hügel fallen nicht auf uns herab, sondern zwischen ihnen tut sich ein neuer Weg auf. Es ist dein Weg, Jesus: ein Weg bergauf, auf dem dich die Apostel verlassen haben, aber deine Jüngerinnen – Mütter der Kirche – sind dir gefolgt.

 

Lasst uns beten: Gib uns ein mütterliches Herz, Jesus

Du hast der Kirche in der Geschichte viele heilige Frauen geschenkt.

Gib uns ein mütterliches Herz, Jesus

Du hast Überheblichkeit und Dominanz abgelehnt.

Gib uns ein mütterliches Herz, Jesus

Du hast dich der Tränen der Mütter angenommen und sie getröstet.

Gib uns ein mütterliches Herz, Jesus

Du hast den Frauen die Botschaft der Auferstehung anvertraut.

Gib uns ein mütterliches Herz, Jesus

Du hast der Kirche neue Charismen und ein neues Einfühlungsvermögen geschenkt.

Gib uns ein mütterliches Herz, Jesus

 

IX. Station

Jesus fällt zum dritten Mal

 

Aus dem Evangelium nach Lukas (7,44-49)

[Jesus] sagte zu Simon: Siehst du diese Frau? Als ich in dein Haus kam, hast du mir kein Wasser für die Füße gegeben; sie aber hat meine Füße mit ihren Tränen benetzt und sie mit ihren Haaren abgetrocknet. Du hast mir keinen Kuss gegeben; sie aber hat, seit ich hier bin, unaufhörlich meine Füße geküsst. Du hast mir nicht das Haupt mit Öl gesalbt; sie aber hat mit Balsam meine Füße gesalbt. Deshalb sage ich dir: Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie viel geliebt hat. Wem aber nur wenig vergeben wird, der liebt wenig. Dann sagte er zu ihr: Deine Sünden sind dir vergeben. Da begannen die anderen Gäste bei sich selbst zu sagen: Wer ist das, dass er sogar Sünden vergibt?

 

Nicht nur ein- oder zweimal, Jesus: Du fällst erneut. Schon als Kind bist du hingefallen, wie jedes Kind. So hast du unser Menschsein verstanden und angenommen. Wir fallen und wir fallen immer wieder. Wenn uns auch die Sünde von dir entfernt, so bringt dich dein Ohne-Sünde-Sein jedem Sünder näher, es verbindet dich unauflöslich mit seinem Fallen. Und dies bewegt zur Umkehr. Das ist ein Skandal für diejenigen, die auf Abstand gehen zu ihren Mitmenschen und zu sich selbst. Ein Skandal für diejenigen, die im Zwiespalt leben zwischen dem, was sein sollte und dem, was wirklich ist. Angesichts deiner Barmherzigkeit, Jesus, zerfällt jede Heuchelei. Masken und schöne Fassaden nützen nichts mehr. Gott sieht das Herz. Er liebt das Herz. Er erwärmt das Herz. Und so richtest du mich auf und lässt mich weitergehen auf noch nie begangenen, kühnen und großherzigen Wegen. Wer bist du, Jesus, dass du sogar Sünden vergibst? Wieder auf der Erde liegend, auf dem Kreuzweg, bist du der Retter dieser unserer Erde. Wir bewohnen sie nicht nur, sondern wir sind aus ihr geformt. Am Boden liegend formst du uns weiterhin, wie ein geschickter Töpfer.

 

Lasst uns beten: Wir sind Ton in deinen Händen

Wenn die Dinge scheinbar nicht zu ändern sind, erinnere uns daran:

Wir sind Ton in deinen Händen

Wenn kein Ende der Konflikte in Sicht ist, erinnere uns daran:

Wir sind Ton in deinen Händen

Wenn die Technik uns glauben macht, wir seien allmächtig, erinnere uns daran:

Wir sind Ton in deinen Händen

Wenn Erfolge uns von der Erde „abheben“ lassen, erinnere uns daran:

Wir sind Ton in deinen Händen

Wenn wir mehr auf den äußeren Schein bedacht sind als auf das Herz, erinnere uns daran: Wir sind Ton in deinen Händen

 

 

X. Station

Jesus wird seiner Kleider beraubt 

 

Aus dem Buch Ijob (1,20-22)

Da stand Ijob auf, zerriss sein Gewand, schor sich das Haupt, fiel auf die Erde, betete und sprach: Nackt kam ich hervor aus dem Schoß meiner Mutter; nackt kehre ich dahin zurück. Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; gelobt sei der Name des Herrn. Bei alldem sündigte Ijob nicht und gab Gott keinen Anstoß.

 

Du entkleidest dich nicht, du wirst entkleidet. Der Unterschied ist uns allen klar, Jesus. Nur wer uns liebt, darf unsere Verletzlichkeit in seine Hände und in seinem Blick nehmen. Wir fürchten hingegen die Augen derer, die uns nicht kennen und die nur besitzen wollen. Du bist nackt und allen ausgeliefert, aber du verwandelst selbst Demütigung in Vertrautheit. Du willst dich selbst denen, die dich zerstören, als Vertrauter offenbaren, du betrachtest diejenigen, die dich entkleiden, als geliebte Menschen, die dir der Vater gegeben hat. Hier ist noch mehr Geduld und sogar noch mehr Glaube als bei Ijob. Du bist der Bräutigam, der sich einnehmen und berühren lässt und alles zum Guten wendet. Du hinterlässt uns deine Kleider als Reliquien einer vollendeten Liebe. Sie sind in unseren Händen, weil du bei uns, weil du mit uns warst. Wir haben deine Kleider behalten und werfen nun das Los um sie, doch das Los begünstigt hier nicht nur einen, sondern alle. Du kennst jeden Einzelnen von uns, um alle, alle, alle zu retten. Und wenn dir die Kirche heute wie ein zerrissenes Gewand erscheint, dann lehre uns, das Gewebe unserer Geschwisterlichkeit, die auf deiner Gabe beruht, zu erneuern. Wir sind dein Leib, dein unteilbares Gewand, deine Braut. Das sind wir gemeinsam. Für uns ist die Messschnur auf liebliches Land gefallen, unser Erbe ist herrlich (vgl. Ps 16,6).

 

Lasst uns beten: Schenke deiner Kirche Frieden und Einheit

 

Herr Jesus, du siehst deine Jünger gespalten.

Schenke deiner Kirche Frieden und Einheit

Herr Jesus, der du die Wunden unserer Geschichte trägst.

Schenke deiner Kirche Frieden und Einheit

Herr Jesus, der du die Zerbrechlichkeit unserer Liebe kennst.

Schenke deiner Kirche Frieden und Einheit

Herr Jesus, der du willst, dass wir Glieder deines Leibes sind.

Schenke deiner Kirche Frieden und Einheit

Herr Jesus, der du das Gewand der Barmherzigkeit trägst.

Schenke deiner Kirche Frieden und Einheit

 

 

XI. Station

Jesus wird an das Kreuz genagelt

 

Aus dem Evangelium nach Lukas (23,32-34a)

Zusammen mit Jesus wurden auch zwei Verbrecher zur Hinrichtung geführt. Sie kamen an den Ort, der Schädelhöhe heißt; dort kreuzigten sie ihn und die Verbrecher, den einen rechts von ihm, den andern links. Jesus aber betete: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!

 

Nichts erschreckt uns mehr als Unbeweglichkeit. Und du bist angenagelt, bewegungsunfähig, fixiert. Das bist du – jedoch zusammen mit anderen: nie allein, du hast entschieden, dich auch am Kreuz als der Gott mit uns zu offenbaren. Die Offenbarung bleibt nicht stehen, sie ist nicht festgenagelt. Du, Jesus, zeigst uns, dass in jeder Situation eine Entscheidung zu treffen ist. Das ist das Schwindelerregende an der Freiheit. Nicht einmal am Kreuz bist du neutralisiert: Du entscheidest, für wen du dort bist. Du schenkst dem einen wie dem anderen der mit dir Gekreuzigten deine Aufmerksamkeit: Du lässt die Beleidigungen des einen an dir abgleiten und nimmst die Bitte des anderen an. Du schenkst demjenigen Aufmerksamkeit, der dich kreuzigt und siehst in das Herz desjenigen, der nicht weiß, was er tut. Deine Aufmerksamkeit gilt dem Himmel: Du hättest ihn gerne heller, aber du durchbrichst den Bann der Dunkelheit mit dem Licht der Fürsprache. Ja, während du angenagelt bist, legst du Fürsprache ein: Du begibst dich zwischen die Parteien, zwischen die Gegensätze. Und du bringst sie vor Gott, denn dein Kreuz lässt Mauern fallen, lässt Schulden nach, hebt Urteile auf, schafft Versöhnung. Du bist das wahre Jubeljahr. Bekehr uns zu dir, Jesus, der du, ans Kreuz genagelt, alles vermagst.

 

Lasst uns beten: Lehre uns lieben

 

Wenn wir Kraft haben und wenn wir meinen, keine mehr zu haben.

Lehre uns lieben

Wenn wir durch ungerechte Gesetze oder Entscheidungen eingeschränkt werden.

Lehre uns lieben

Wenn wir von denen angegangen werden, die keine Wahrheit und Gerechtigkeit wollen. Lehre uns lieben

Wenn wir versucht sind, zu verzweifeln.

Lehre uns lieben

Wenn wir sagen: „Da ist nichts mehr zu machen“.

Lehre uns zu lieben

 

 

 

XII. Station

Jesus stirbt am Kreuz

 

Aus dem Evangelium nach Lukas (23,45-49)

Die Sonne verdunkelte sich. Der Vorhang im Tempel riss mitten entzwei. Und Jesus rief mit lauter Stimme: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist. Mit diesen Worten hauchte er den Geist aus. Als der Hauptmann sah, was geschehen war, pries er Gott und sagte: Wirklich, dieser Mensch war ein Gerechter. Und alle, die zu diesem Schauspiel herbeigeströmt waren und sahen, was sich ereignet hatte, schlugen sich an die Brust und gingen weg. Alle seine Bekannten aber standen in einiger Entfernung, auch die Frauen, die ihm von Galiläa aus nachgefolgt waren und die dies mit ansahen.

 

Wo sind wir auf Golgota? Unter dem Kreuz? Mit etwas Abstand? Weit weg? Oder vielleicht sind wir wie die Apostel nicht mehr da. Du atmest, und dieser Atemzug, der letzte und der erste, verlangt nur danach, angenommen zu werden. Herr Jesus, führe uns hin zu deinem Geschenk. Lass nicht zu, dass dein Lebensatem sich verflüchtigt. Unsere Dunkelheit sucht das Licht. Unsere Tempel wollen endgültig offenbleiben. Jetzt ist der Heilige nicht mehr jenseits des Schleiers verborgen: Sein Geheimnis ist allen offenbart. Dies wird von einem Soldaten wahrgenommen, der aus der Nähe beobachtet, wie du stirbst, und eine neue Art von Stärke erkennt. Dies begreift die Menschenmenge, die sich mit ihren Schreien gegen dich gewandt hatte: zunächst war sie auf Distanz gegangen, nun begegnet sie dem Schauspiel einer noch nie gesehenen Liebe, einer Schönheit, die sie zum Umdenken bewegt. Denen, die dich sterben sehen, Herr, gibst du Gelegenheit sich an die Brust zu schlagen und umzukehren, sich an das Herz zu schlagen, damit seine Härte bricht. Jesus, gewähre uns, die wir dich oft noch aus der Ferne beobachten, dass wir in unserem Leben stets deiner gedenken, damit selbst der Tod uns eines Tages, wenn du kommen wirst, lebend antrifft.

 

Lasst uns beten: Komm, Heiliger Geist!

Wir haben uns von den Wunden des Herrn ferngehalten.

Komm, Heiliger Geist!

Beim Anblick unserer darniederliegenden Brüder und Schwestern haben wir uns abgewandt. Komm, Heiliger Geist!

Die Barmherzigen und die Armen im Geiste erscheinen als Verlierer.

Komm, Heiliger Geist!

Gläubige und Ungläubige stehen vor dem Kreuz.

Komm, Heiliger Geist!

Die ganze Welt sucht nach einem neuen Anfang.

Komm, Heiliger Geist!

 

 

 

 

XIII. Station

Jesus wird vom Kreuz abgenommen

 

Aus dem Evangelium nach Lukas (23,50-53a)

Und siehe, da war ein Mann mit Namen Josef, ein Mitglied des Hohen Rats und ein guter und gerechter Mensch. Dieser hatte ihrem Beschluss und Vorgehen nicht zugestimmt. Er war aus Arimathäa, einer jüdischen Stadt, und wartete auf das Reich Gottes. Er ging zu Pilatus und bat um den Leichnam Jesu. Und er nahm ihn vom Kreuz.

 

Dein Leib ist nun endlich in den Händen eines guten und gerechten Menschen. Du bist in den Schlaf des Todes gehüllt, Jesus, doch ein lebendiges und entschiedenes Herz nimmt sich deiner an. Josef gehörte nicht zu denen, die reden und nichts tun. »Er hatte ihrem Beschluss und Vorgehen nicht zugestimmt«, sagt das Evangelium. Und das ist eine gute Nachricht: Er, der die gängige Meinung nicht angenommen hat, nimmt dich an, Jesus. Es nimmt sich jemand deiner an, der Verantwortung übernommen hat. Du, Jesus, hast deinen Platz, in den Armen des Josef von Arimathäa, der „auf das Reich Gottes wartete“. Du hast deinen Platz bei denen, die noch hoffen, bei denen, die sich nicht damit abfinden, dass Ungerechtigkeit unvermeidlich ist. Du durchbrichst die Kette des Unausweichlichen, Jesus. Du durchbrichst die Automatismen, die das gemeinsame Haus und die Geschwisterlichkeit zerstören. Du gibst denen, die auf dein Reich warten, den Mut, vor die Obrigkeit hinzutreten: wie Mose vor den Pharao, wie Josef von Arimathäa vor Pilatus. Du befähigst uns zu großer Verantwortung, du machst uns mutig. So bist du gestorben und deine Herrschaft dauert fort. Und für uns, Jesus, heißt das: Dir zu dienen ist herrschen.

 

Lasst uns beten: Dir dienen ist herrschen

 

Die Hungrigen speisen. Dir dienen ist herrschen

Den Durstigen zu trinken geben. Dir dienen ist herrschen

Die Nackten kleiden. Dir dienen ist herrschen

Die Fremden beherbergen. Dir dienen ist herrschen

Die Kranken besuchen. Dir dienen ist herrschen

Die Gefangenen besuchen. Dir dienen ist herrschen

Die Toten begraben. Dir dienen ist herrschen

 

 

 

XIV. Station

Jesus wird in das Grab gelegt

 

Aus dem Evangelium nach Lukas (23,53b-56)

[Er] hüllte ihn in ein Leinentuch und legte ihn in ein Felsengrab, in dem noch niemand bestattet worden war. Das war am Rüsttag, kurz bevor der Sabbat anbrach. Die Frauen in seiner Nachfolge, die mit Jesus aus Galiläa gekommen waren, sahen das Grab und wie der Leichnam bestattet wurde. Dann kehrten sie heim und bereiteten wohlriechende Salben und Öle zu. Am Sabbat aber hielten sie die vom Gebot vorgeschriebene Ruhe ein.

 

In einem System, das niemals zur Ruhe kommt, erlebst du, Jesus, deinen Sabbat. Auch die Frauen erleben ihn, zu denen die Aromen und Wohlgerüche bereits von der Auferstehung sprechen möchten. Lehre uns, nichts zu tun, wenn von uns verlangt ist, einfach abzuwarten. Lass uns nach den Zeiten der Erde leben, die nicht künstlich sind. Im Grabe liegend, teilst du Jesus unser Menschsein, das uns alle vereint, du gelangst hinab bis zu den Abgründen, die uns so sehr ängstigen. Sieh nur, wie wir ihnen entfliehen, indem wir unsere Betriebsamkeit vervielfachen. Wir drehen uns oft im Kreis, doch der Sabbat leuchtet mit seinen Lichtern: Er erzieht uns und verlangt von uns zu ruhen. Das göttliche Leben, das Leben, das dem Menschen angemessen ist, kennt die Ruhe des Sabbats. »Und ein jeder sitzt unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum und niemand schreckt ihn auf« (Mi 4,4), prophezeite Micha. Und Sacharja greift dies auf: »An jenem Tag – Spruch des Herrn der Heerscharen – werdet ihr einander einladen unter Weinstock und Feigenbaum« (vgl. Sach 3,10). Jesus, der du in unserer stürmischen Welt zu schlafen scheinst, nimm uns alle mit in den Frieden des Sabbats. Dann wird uns die ganze Schöpfung sehr schön und gut erscheinen, bestimmt für die Auferstehung. Und es wird Friede sein über deinem Volk und zwischen allen Völkern.

 

Lasst uns beten: Dein Friede komme

 

Für Erde, Luft und Wasser. Dein Friede komme

Für die Gerechten und die Ungerechten. Dein Friede komme

Für die, die nicht gesehen werden und keine Stimme haben. Dein Friede komme

Für die, die weder Macht noch Geld haben. Dein Friede komme

Für die, die auf einen gerechten Aufbruch warten. Dein Friede komme

 

 

 

 

Abschließendes Gebet

 

»„Laudato si’, mi’ Signore Gelobt seist du, mein Herr“, sang der heilige Franziskus von Assisi. In diesem schönen Lobgesang erinnerte er uns daran, dass unser gemeinsames Haus wie eine Schwester ist, [...]. Diese Schwester schreit auf wegen des Schadens, den wir ihr […] zufügen« (Enzyklika Laudato si', 1-2).

»„Fratelli tutti“ schrieb der heilige Franz von Assisi und wandte sich damit an alle Brüder und Schwestern, um ihnen eine dem Evangelium gemäße Lebensweise darzulegen« (Enzyklika Fratelli tutti, 1).

»„Er hat uns geliebt“, sagt Paulus über Christus […], um uns erkennen zu lassen, dass uns nichts von dieser Liebe „scheiden kann“« (Enzyiklika Dilexit nos, 1).

Wir sind den Kreuzweg gegangen; wir haben uns der Liebe zugewandt, von der uns nichts scheiden kann. Jetzt, da der König schläft und sich eine große Stille über die ganze Erde senkt, erbitten wir mit den Worten des heiligen Franziskus die Gabe der Umkehr des Herzens.

 

Höchster, glorreicher Gott,

erleuchte die Finsternis meines Herzens

und schenke mir rechten Glauben,

sichere Hoffnung,

vollkommene Liebe

und tiefgründende Demut.

Gib mir, Herr, das rechte Empfinden und Erkennen,

damit ich deinen heiligen und wahrhaften Auftrag erfülle. Amen.

(vatican news - mg)

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18. April 2025, 12:35